Michael Heinrich
Globalisierter
Konkurrenzkapitalismus
in: Context XXI, 2/2000,
S.14-18
In der Rückschau betrachtet scheinen die 90er Jahre das Jahrzehnt der
Geld- und Währungskrisen gewesen zu sein. Die Pfundkrise brachte nicht nur das europäische
Währungssystem zum Beinahe-Einsturz, sie verhalf auch dem Spekulanten Georges
Soros zu Milliardengewinnen, Geld mit dem die Soros-Stiftung den Menschen in
Osteuropa nun die Grundwerte von Demokratie und Kapitalismus nahe bringt. Die
Asienkrise, ausgelöst vom Kurssturz des thailändischen Baht, nahm den
ostasiatischen „Tigern“ den Nimbus des unaufhaltsamen Aufstiegs und ermöglichte
den westlichen Konzernen anschließend den billigen Einstieg in deren Ökonomie.
Für Währungskrisen waren in den 90ern auch Brasilien und Rußland gut. Und seit
Anfang des Jahrzehnts boomen scheinbar unaufhörlich die Aktienmärkte, obgleich
immer wieder vor dem ganz großen Crash gewarnt wird, der nicht nur die
Aktienmärkte, sondern auch ganze Volkswirtschaften mit in den Abgrund reißen
soll.
Marx und die Neoklassik
Zur Entwicklung der Finanzmärkte und ihrer Krisen hat die herrschende
ökonomische Theorie, die Neoklassik, auffallend wenig zu sagen. Die theoretisch
orientierten Beiträge bleiben dürftig, da von einer strikten Trennung von
„Realsphäre“ (dort wird produziert, werden Grenzerträge gegeneinander abgewogen
etc.) und „Geldsphäre“ ausgegangen wird: Geld erscheint in dieser Perspektive
bloß als ein praktisches Rechenmittel, das allenfalls als kurzfristiger
Störfaktor in die Realsphäre hineinwirken kann. Das Finanzsystem gilt als
bloßer Überbau über der eigentlichen, der „realen“ Ökonomie. Die theoretische
Leere macht sich dann auch im Schwanken der neoklassisch inspirierten
Politikempfehlungen geltend: galt bis vor wenigen Jahren noch die Entfesselung
der Marktkräfte und die möglichst weitgehende Deregulierung des Finanzsystems
als Wunderkur gegen sämtliche Krisen, hat sich der Wind inzwischen gedreht:
selbst IWF-Kreise fordern inzwischen wieder eine stärkere Regulierung der
Kapitalmärkte, eine verbesserte Bankenaufsicht etc.
Der gewachsenen Bedeutung, die die Finanzmärkte in den 90er Jahren
erhalten haben, scheint auch die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie
hilflos gegenüberzustehen. In einer weit verbreiteten „traditionellen“ Lesart
spielt in der Marxschen Theorie - ebenso wie in der Neoklassik - das Geld
gegenüber der Realsphäre nur eine untergeordnete Rolle. In dieser Lesart, die
vor allem den Marxismus der klassischen Arbeiterbewegung dominierte, steht im
Vordergrund was den Wert der Waren bestimmt (Arbeit oder Nutzen) und wie sich
der Profit des Kapitals erklären läßt: als quasi natürlicher Ertrag des
„Produktionsfaktors“ Kapital oder als Resultat von „Ausbeutung“. Indem gezeigt
wird, daß der Wert der Waren auf die zu ihrer Produktion notwendigen
Arbeitszeit beruht und daß die Arbeiter und Arbeiterinnen im Lohn zwar die
Reproduktionskosten der von ihnen verkauften Ware Arbeitskraft aber eben nur
einen Teil des von ihnen produzierten Werts erhalten, sind für diese Lesart der
Marxschen Theorie dann schon die wichtigsten Ergebnisse erreicht, der
unauflösbare Antagonismus von Bourgeoisie und Proletariat ist nachgewiesen. Was
die Entwicklungsdynamik des Kapitalismus angeht, so begnügt sich diese Sicht
der Dinge damit, den Zwang zu beständiger Produktivkraftsteigerung und
Kapitalakkumulation herauszustellen, was immer wieder zu Krisen und schließlich
zum Fall der Profitrate führen soll (da relativ zu den Arbeitskräften, die
allein den Mehrwert produzieren, immer mehr Kapital für teure Maschinerie
benötigt wird, um die Produktivkraft der Arbeit zu steigern). Insbesondere
letzteres wurde häufig als Tendenz zu einem ökonomischen Zusammenbruch des
Kapitalismus interpretiert.
Obwohl es im Marxschen „Kapital“ genügend Aussagen gibt, die ein solch
simples Kapitalismusbild stützen, geht diese traditionelle Lesart an der
Komplexität der Marxschen Wertformanalyse und der Theorie des Warenfetischs
vorbei, die dementsprechend auch beide weitgehend ignoriert wurden. Gerade in
diesen Abschnitten wird nämlich deutlich, daß es bei der Marxschen
„Arbeitswerttheorie“ nicht darum geht, daß Arbeitsquanten, die allein schon
aufgrund der Produktionsbedingungen fix und fertig bestimmt sind, den Wert
einer Ware bestimmen, der dann nachträglich bloß noch in einem Geldpreis
ausgedrückt wird. Die Pointe der Wertformanalyse, bei der Marx nachzuweisen
versucht, daß der Wert eine spezifische Wertform
notwendig macht, besteht gerade darin, daß der Warenwert nicht unabhängig oder
zeitlich vor der im Austausch stattfindenden Verwandlung von Ware in Geld zu
bekommen ist. Insofern kann man davon sprechen, daß es sich bei der Marxschen
Arbeitswerttheorie um eine „monetäre“ Werttheorie handelt (im Gegensatz zur
„prämonetären“ Arbeitswerttheorie der klassischen politischen Ökonomie oder zur
„prämonetären“ Grenznutzentheorie der Neoklassik).[1]
Produktion und Zirkulation sind daher ganz anders verschränkt, als es sich die
prämonetären Theorien, sowohl der „traditionellen“ Marx-Lesart als auch der
bürgerlichen Ökonomie vorstellen.
Begreift die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie Geld somit als
weit mehr als nur ein Rechenmittel, so scheint ihr das Verständnis der
gegenwärtigen Geld- und Währungsverhältnisse aber doch grundsätzlich verstellt
zu sein: Marx hebt sowohl bei seiner kategorialen Ableitung des Geldes als auch
bei seiner (nur rudimentären) Analyse des Kreditsystems die Notwendigkeit der
Existenz einer Geldware hervor. Zwar
betont Marx, daß diese Geldware auf vielfältige Weise substituiert wird, so daß
sie physisch kaum noch auftauchen muß. Allerdings hält er daran fest, daß das
Geldsystem die Geldware als eine Art Anker benötigt. Tatsächlich fungierte im
19. und im frühen 20. Jahrhundert das Gold als Geldware. Im Währungssystem von
Bretton Woods, das nach dem 2. Weltkrieg als internationale Währungsordnung der
kapitalistischen Länder eingerichtet wurde, spielte das Gold diese Rolle zwar
noch immer formell (über die Goldbindung des amerikanischen Dollars, der
seinerseits die Rolle des Weltgeldes einnahm) doch nicht mehr reell: faktisch
spielte die Goldbindung keine Rolle mehr und mit dem Zusammenbruch des Bretton
Woods Systems Anfang der 70er Jahre wurde sie auch formell beseitigt. Im
gegenwärtigen Geld- und Währungssystem existiert keine Geldware mehr, auch nicht
als stillschweigender Bezugspunkt. Wäre die Marxsche Geldtheorie tatsächlich an
die Existenz einer Geldware gebunden, dann würde sie nicht Geld im
Kapitalismus, sondern lediglich Geld in einer bestimmten Phase des Kapitalismus
analysieren. Allerdings läßt sich zeigen, dass (auch entgegen Marx‘ eigener
Auffassung) die Wertformanalyse keineswegs dazu führt, daß die Existenz einer
Geldware unterstellt werden muß, die
Wertformanalyse kann daher auch für die gegenwärtigen Verhältnisse Gültigkeit
beanspruchen.
Mit dem Verhältnis von Ware und Geld wird nur die abstrakte Oberfläche
des kapitalistischen Reproduktionszusammenhangs in den Blick genommen. Die
Waren sind jedoch (in ihrer großen Mehrheit) kapitalistisch produziert und das
Geld nimmt (zum größten Teil) die Form des Geldkapitals an, welches vermittelt
über das Kreditsystem in die Hände der fungierenden Kapitalisten kommt. So wie
die Wertformanalyse deutlich macht, dass Wert und Geld sich eben nicht auf
getrennte Sphären reduzieren lassen, zeigt die Analyse des kapitalistischen
Gesamtreproduktionsprozesses, daß sich keine „reale“ kapitalistische Produktion
von einem bloßen „Kreditüberbau“ trennen läßt: das Finanzsystem ist das
eigentliche Steuerungszentrum des kapitalistischen Reproduktionszusammenhangs (nicht
im Sinne bewußter Steuerung durch einzelne Finanzmagnaten, sondern einer
strukturellen Determinierung).[2]
Die Verschuldung der Unternehmen, schnell steigende Aktienkurse, scharfe
Bewegungen der Zinsrate etc. sind an sich noch keine Anzeichen dafür, daß der
Kapitalismus rein ökonomisch (also nach seinen eigenen Kriterien) aus dem Ruder
laufen würde - wie es die Rede vom „Kasinokapitalismus“ häufig suggeriert. Auch
größere Crashs an Aktien- und Devisenmärkten sind keineswegs Vorboten eines
endgültigen „Zusammenbruchs“ (von was auch immer - wie ein endgültiger
Zusammenbruch des Kapitalismus eigentlich aussehen soll, darüber schweigen sich
dessen Propheten aus), sie sind vielmehr die „normale“ Durchsetzung des
einzigen Zwecks kapitalistischer Produktion: eine höchstmögliche Verwertung des
eingesetzten Kapitals zu erreichen. Daß dieser „normale“ Durchsetzungsprozeß
„krisenhaft“ vonstatten geht, daß er mit der Verarmung von ganzen
Bevölkerungsteilen oder der Verelendung ganzer Regionen erkauft wird, heißt nicht,
daß sein Zweck (Profitmaximierung) verfehlt wurde, es zeigt nur, daß dieser
Zweck im Konfliktfall keinen anderen neben sich duldet.
Das Kapital im Kasino?
Die Rede vom „Kasinokapitalismus“ hat aber, insofern sie auf die veränderte
Rolle der internationalen Finanzmärkte in den 80er und 90er Jahren hinweist,
auch einen realen Kern. Noch bis in die 70er Jahre hinein bildeten die
nationalstaatlichen Grenzen (genauer gesagt die Grenzen des Währungsraumes, die
normalerweise mit den staatlichen Grenzen zusammenfielen) auch wichtige
ökonomische Grenzen für die jeweiligen Kapitale: nicht daß es keine
Kapitalbewegungen über diese Grenzen hinweg gegeben hätte, aber sowohl die
Bildung einer allgemeinen Zinsrate, zu der sich die Kapitale mit Krediten
versorgen konnten, als auch die Bildung der Durchschnittsprofitrate, die für
die individuellen Kapitale die Orientierungsmarke ihrer eigenen Verwertung
abgibt, erfolgte im wesentlichen innerhalb der Nationalstaaten (zumindest
sofern es sich um entwickelte kapitalistische Länder handelte). Nach dem
Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods und der politisch durchgesetzten
Deregulierung der internationalen Finanzmärkte kam es in den 70er und 80er
Jahren zur Entstehung eines „monetären Weltmarkts“: fixe Wechselkurse als
Schranken zwischen unterschiedlichen Wirtschaftsräumen und Begrenzungen
internationaler Kapitalbewegungen gab es immer weniger, so daß auch die
Zinsbildung immer stärker internationalisiert wurde. Die enorme Verbilligung
von Transport und Kommunikation ließ darüber hinaus eine weltweite Disposition
über Produktionsstandorte, Zulieferungen und Absatzmärkte zu. Es begann sich
ein „globales“ kapitalistisches System herauszubilden, für das nationale
Grenzen eine immer geringer werdende Bedeutung haben und das zunehmend von den
internationalen Finanzmärkten gesteuert wird.
Mit dem Zusammenbruch der „staatssozialistischen“ Systeme Osteuropas,
konnte der Kapitalismus dann nicht nur die letzten geographischen Schranken
überwinden, mit dem Ost-West Gegensatz entfiel auch die Notwendigkeit die
Konflikte zwischen den kapitalistischen Hauptländern moderat zu halten, oder
einigen Ländern der sogenannten Dritten Welt im Austausch gegen politisches
Wohlverhalten (sprich Westorientierung) ökonomische Zugeständnisse zu machen
(Zugeständnisse, die unter anderem den Aufstieg der ostasiatischen „Tiger“
begünstigten und die nun weggefallen sind). Dementsprechend verschärfte sich in
den 90er Jahren nicht nur die Tonlage zwischen den großen kapitalistischen
Blöcken, in den Bürgerkriegen Afrikas wurden auch schon mal unterschiedliche
Seiten unterstützt. Solche Konflikte konnten bisher allerdings weder die
grundsätzliche Hegemonie der USA in Frage stellen noch verhinderten sie die
gemeinsame Kriegführung gegen unliebsame Dritte wie 1991 im Irak oder 1999 im
Kosovo.
Mit dem sich in den 90er Jahren herausbildenden „globalen
Konkurrenzkapitalismus“ ist zwar eine neue Phase kapitalistischer Entwicklung
eingeläutet, allerdings liegt sie nicht jenseits der analytischen Reichweite
der Marxschen Theorie. Gegenstand des Marxschen Kapital ist nicht der zeitgenössische englische Kapitalismus, es
geht vielmehr um die Grundstrukturen des Kapitalismus schlechthin. Dazu mußte
Marx Verhältnisse unterstellen, die im 19. Jahrhundert allenfalls ansatzweise
vorhanden waren. Zwei ganz zentrale Unterstellungen wurden erst im 20.
Jahrhundert praktisch wahr. Die Dominanz der Produktion des „relativen
Mehrwerts“ (d.h. Steigerung des Mehrwerts nicht durch Verlängerung der
Arbeitszeit, sondern durch Verbilligung der Ware Arbeitskraft aufgrund von
Produktivkraftsteigerung in der Produktion der Konsumgüter) konnte sich erst
während der Blütezeit des „Fordismus“ nach dem 2. Weltkrieg voll entfalten, als
die Konsumsphäre nahezu vollständig durchkapitalisiert wurde. Und Marx‘ andere
zentrale Unterstellung, daß der Kapitalismus als Weltsystem existiert, für das
nationale Grenzen nur noch eine untergeordnete Bedeutung haben, ist gerade erst
im Moment dabei, sich zu realisieren.
Der entstehende „globale Konkurrenzkapitalismus“, der nicht mehr viel
mit dem „Wirtschaftswunderkapitalismus“ der 50er und 60er Jahre zu tun haben
wird, erfordert auf Seiten der Banken und Unternehmen „global players“ in einer
ganz anderen Größenordnung als früher. Daher finden Unternehmensübernahmen und
Fusionen, die noch in den 80er Jahren vor allem spekulativen Zielen dienten
(das übernommene Unternehmen wurde ausgeschlachtet und in Teilen
weiterverkauft) oder Folge des bevorstehenden Bankrotts einer der Firmen waren,
heute auch zwischen Unternehmen statt, die schon vor der Fusion höchste Profite
abgeworfen haben (wie z.B. Daimler/Chrysler oder Vodafone/Mannesmann).
Finanzkapital in der
Globalisierung
In diesem globalen Konkurrenzkapitalismus ändert sich auch die Funktionsweise
des Finanzsystems. Die stürmische Entwicklung der Finanzmärkte in den 90er
Jahren ist nicht nur Ergebnis einer spekulativen Überhitzung, sie ist vor allem
Ausdruck eines grundsätzlichen Strukturwandels. Immer häufiger finanzieren sich
Unternehmen nicht mehr mit Krediten ihrer „Hausbank“, sondern direkt an den
Finanzmärkten, indem sie entweder selbst Anleihen auflegen, zusätzliche Aktien
ausgeben oder ganze Unternehmensbereich ausgliedern und als selbständige
Tochterunternehmen an die Börse bringen. Auch neu gegründete Unternehmen gehen
relativ schnell an die Börse. Im Unterschied zum Bankkredit, für den regelmäßig
Zins und Tilgung fällig ist, muß das durch die Ausgabe von Aktien eingenommene
Kapital, nie wieder zurückgezahlt werden. Zugleich ändert sich das
Sparverhalten in den entwickelten (zunehmend auch in den weniger entwickelten
Ländern): die Ersparnisse werden nicht mehr zu niedrigen Zinsen auf Sparkonten
angelegt, sondern direkt in Aktien oder Investmentfonds (letztere erlauben auch
dem Kleinanleger auf jedem beliebigen Markt der Welt zu investieren). England
und die USA waren in dieser Entwicklung schon lange Vorreiter, aber heute
breitet sie sich auch im Rest der Welt aus. Da im Zuge der „Globalisierung“
auch die sozialen Sicherungssysteme abgebaut werden und die Zeiten des sozial
einigermaßen abgefederten „Wirtschaftswunderkapitalismus“ unwiderruflich der
Vergangenheit angehören, so daß die gesetzliche Rentenversicherung in Zukunft
allenfalls noch eine Grundsicherung bereitstellen wird, sind Arbeiter und
Arbeiterinnen im Alter wieder zunehmend auf eigene Ersparnisse angewiesen.
Die Aktien- und Anleihemärkte werden somit nicht nur für die Unternehmen
immer wichtiger, sondern auch für einen großen Teil der lohnabhängigen Bevölkerung.
Damit einher geht zum einen eine verstärkte soziale Spaltung (der Erfolg der
Unternehmen und damit auch die mögliche Höhe der von ihnen gezahlten Löhne
differiert extrem, auch der „Anlageerfolg“ der Kleinanleger kann sehr unterschiedlich
ausfallen und schließlich wird auch in den entwickelten kapitalistischen Ländern
diejenige Gruppe immer größer, die überhaupt keine Chance auf einen höher
entlohnten Job oder eine Anlage an den Kapitalmärkten hat). Zum anderen bringt
die Dominanz der Finanzmärkte neue Verhaltensorientierungen hervor: für die
Unternehmen ist es nicht nur wichtig, einen im nationalen Rahmen „normalen“
Gewinn zu erwirtschaften, sondern einen Gewinn, der mit den internationalen
„Benchmarks“ mithalten kann und auch die Aussicht auf künftige Steigerung
bietet, so dass er einen steigenden Aktienkurs, den „Shareholdervalue“ garantiert.
Für die zunehmende Zahl von Kleinanlegern, deren Rente an die Entwicklung
der Aktienmärkte gekoppelt ist, wird eine rigide, gewinnorientierte Unternehmenspolitik
wichtiger als die Orientierung an kollektiven Sicherungssystemen und solidarischen
Organisationsformen. Am Horizont taucht damit eine Gesellschaft auf, wo nicht
nur die kapitalistischen Unternehmen ihre Profitmaximierungsstrategien noch
weit aggressiver verfolgen als bisher, sondern wo aus Arbeitern und Arbeiterinnen,
die sich früher einmal in Gewerkschaften und sozialistischen oder kommunistischen
Parteien zusammengeschlossen hatten, um dem Kapital zumindest einen gewissen
Widerstand entgegenzusetzen, zunehmend Unternehmer in Sachen Verkauf eigener
Arbeitskraft und Anleger in Sachen eigener Ersparnisse und Alterssicherung
werden. Die Ausgebeuteten vertreten nun die kapitalistische Logik der Profitmaximierung
aus scheinbarem Eigeninteresse. Dieses Verhalten wird zwar nur für eine Minderheit
ökonomisch Sinn machen, deren Grenzen sind aber fließend. Auf- und Abstiege
sind möglich, so daß sich durchaus eine Mehrheit der Beschäftigten Hoffnungen
machen wird, irgendwann doch einmal zu dieser bessergestellten Minderheit
zu gehören.
Schlechte Aussichten
Für eine antikapitalistische Linke werden die Zeiten noch ungemütlicher
werden als sie es sowieso schon sind. Der neue „globale Konkurrenzkapitalismus“
wird sich wesentlich ungehemmter entwickeln als in den vergangenen Jahrzehnten,
es wird zu größeren sozialen Spaltungen kommen (sowohl innerhalb der
entwickelten Länder, wo „erste“ und „dritte“ Welt ganz nah zusammenrücken, was
schon heute nicht nur in New York oder Los Angeles zu besichtigen ist) und
wahrscheinlich auch zu häufigeren und schärferen Krisen führen, die mit
Verelendungstendenzen einhergehen, welche ganze Regionen betreffen und von der
weiteren Entwicklung abkoppeln können, während anderswo der Reichtum immer
schneller akkumuliert. Daraus aber auf die Entstehung einer stärkeren
antikapitalistischen Bewegung zu schließen, wäre überaus voreilig, denn, wie
gerade angedeutet, ist bei den besser bezahlten Schichten der Arbeiterklasse,
bei den Kernbelegschaften der Global Players oder den hochqualifizierten
Experten der wachsenden Internetökonomie eher mit zunehmender Entsoldarisierung
und einer Internalisierung der Profitlogik als einem quasi-natürlichen
Sachzwang zu rechnen. Die „rot-grüne“ Variante einer Modernisierung des
Kapitalismus, eines „intelligenten“ Fitmachens des nationalen Standorts für die
Weltmarktkonkurrenz (statt einer Kahlschlagpolitik a la Reagan und Thatcher),
scheint für diese Schichten die plausibelste politische Option zu sein. (In den
meisten EU-Ländern wird bereits von solchen Parteien die Regierung gestellt,
die Clinton-Administration stellt gewissermaßen das US-amerikanische Pendant
dazu da). Für die übrigen Teile der Arbeiterklasse bleibt die (für Einzelne
auch nicht völlig aussichtslose) Hoffnung des Aufstiegs oder aber ein Leben,
das zunehmend an der Armutsgrenze geführt wird (bzw. das vom Abrutschen an
diese Grenze bedroht wird) und das entweder politische Apathie oder ziellose
Wut und jede Menge rechtsextremer und rassistischer Ressentiments hervorbringt.
[1] Dieser „monetäre“ Charakter der Marxschen Werttheorie wurde der Sache nach bereits in den 20er Jahren von dem russischen Ökonom Rubin angedeutet (Rubin wurde ein frühes Opfer der Stalinschen „Säuberungen“; seine Texte wurden erst in den 70er Jahren übersetzt, I. I. Rubin, Studien zur Marxschen Werttheorie, Frankfurt/M. 1973). Seit Ende der 60er Jahre arbeitete vor allem Hans-Georg Backhaus den monetären Charakter der Marxschen Werttheorie und ihren, die Grenzen der „Fachökonomie“ sprengenden, kritischen Gehalt heraus (seine Aufsätze sind gesammelt in: Hans-Georg Backhaus, Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur marxschen Ökonomiekritik, Freiburg 1997).
[2] Dieser Zusammenhang ist bei Marx zwar ein durchgehendes Thema seit den Grundrissen von 1857/58, wird aber trotzdem nur rudimentär entwickelt, wobei sich Marx‘ Festhalten an der Geldware noch als zusätzliches Erkenntnishindernis erweist. Daß die Wertformanalyse auf die Geldware verzichten kann, habe ich in Michael Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution klassischer Tradition, 2. erw. Aufl., Münster 1999, in Kapitel 6.3-6.4 zu begründen versucht, zur Funktionsweise des Kreditsystems vergl. ebd., Kapitel 7.3.